Geigenzettel

Obwohl Geigenzettel zum Klang eines Instruments rein gar nichts beitragen, ziehen sie seit jeher große Aufmerksamkeit auf sich. Wie sind echte von falschen Zetteln zu unterscheiden, welche Kennzeichnungen und verborgenen Botschaften gibt es außer ihnen – und warum hat manche Geige mehrere Zettel von unterschiedlichen Geigenbauern?

Übersicht

Geigenzettel – Form und Verwendung

Geigenzettel sind Herstellerangaben, die in Form von kleinen Papier-Etiketten mit etwas Leim im Inneren des Korpus eines Streichinstruments aufgeklebt werden. Das deutsche Wort „Geigenzettel“ bezeichnet dabei nicht ausschließlich Etiketten in Violinen, sondern fungiert auch als Gattungsbegriff – analog zu „Geigenbauer“ – für Zettel in Geigen, Bratschen, Celli und anderen Streichinstrumenten. Ähnliche Kennzeichnungen kommen auch in anderen Instrumenten vor und sind insbesondere bei Saiteninstrumenten der europäischen Musiktradition in allen Epochen üblich.

Geigenzettel von Nicolo GaglianoTraditionell enthält ein Geigenzettel:

  • den Namen des Geigenbauers,
  • eine Ortsangabe,
  • das Jahr, in dem das Instrument gebaut wurde,
  • ggf. eine Werknummer (opus),
  • grafische Kennzeichen (Logos), nicht selten mit religiösem Bezug,
  • eine Formel wie „fecit“ oder „me fecit“ – „hat gebaut“ bzw. „hat mich gebaut“,
  • grafische Zierelemente im Stil der jeweiligen Epoche.

 

Die meisten Geigenzettel geben allerdings nur den Namen, den Ort und die Jahreszahl an. Der übliche Ort der Anbringung eines Geigenzettels ist der Boden unterhalb des F-Lochs auf der Bassbalkenseite; die Größe variiert in der Regel mit Längen bis ca. 10 cm und Höhen bis ca. 5 cm. Die Etiketten sind aus Papier unterschiedlicher Sorten geschnitten und in der Regel bedruckt. Vollständig handgeschriebene Geigenzettel sind vergleichsweise selten, kommen aber in allen Epochen der Geigenbaugeschichte vor. Einzelne handschriftliche Angaben wie eine Signatur, Jahreszahl und Werknummer sind hingegen bei gedruckten Zetteln durchaus üblich und erfüllen in der Regel auch den Zweck einer persönlichen Autorisierung durch den Geigenbauer. Dabei wird die Jahreszahl oft mit der Tausender-, seltener auch mit der Hunderterstelle vorgedruckt und von Hand ergänzt.

Brandstempel und Signaturen als Alternativen und Ergänzungen zum Geigenzettel

Alternativ oder zusätzlich zum Geigenzettel werden Streichinstrumente mit einem Brandstempel (auch: Brandmarke) und weiteren handschriftlichen Signaturen gekennzeichnet. Ein traditioneller Ort für die Anbringung eines Brandstempels ist die Außenseite des Bodens, auf dem Knöpfchen oder direkt unterhalb davon. Aber auch im Inneren des Korpus sind Brandmarken zu finden; einige Meister versehen sogar die Decke und den Boden einzeln mit Stempeln, um die Authentizität aller Teile des Instruments zu dokumentieren. Versteckt angebrachte Zeichen reflektieren in manchen Fällen wohl auch die Sorge, dass das Instrument durch Entfernung des Originalzettels anonymisiert oder von Konkurrenten als eigene Arbeit beansprucht werden könnte.

Zusätzliche handschriftliche Signaturen dienen meist denselben Zwecken wie Brandstempel, enthalten manchmal aber auch Widmungen oder Bezugnahmen auf biographische oder historische Daten, wie z. B. in dieser Geige von Louis Moitessier.

Geschichte des Geigenzettels

Wie die Frage nach der Entstehung der Geige wird auch die frühe Geschichte des Geigenzettels der Forschung wohl letztlich verborgen bleiben, da Originalinstrumente im europäischen Kontext erst seit der Renaissance erhalten sind und sich in ihnen bereits Zettel finden. Dabei bedürfen ihre Angaben immer einer historischen Einordnung und Interpretation, selbst, wenn sie im vergleichsweise überschaubaren Umfeld handwerklicher, oft von Familien geführter Werkstätten verwendet werden, die insbesondere für die frühere Geigenbaugeschichte bis zum späten 18. Jahrhundert den maßgeblichen Bezugsrahmen bildeten. So gilt für alle Informationen auf Geigenzetteln, dass sie nicht unbedingt der vollen Wahrheit entsprechen müssen: Gerade in gut etablierten, erfolgreichen Werkstätten war es über die Jahrhunderte bewährte Praxis, die Zettel des Vaters bzw. Vorgängers weiter zu verwenden, nachdem das Geschäft vererbt oder übertragen worden war.Anzeige

Darüber hinaus entwickelte sich der Geigenzettel mit der Einführung des arbeitsteiligen Geigenbaus im „Verlegerwesen“ und in der industriellen Produktion immer mehr zu einem „Modellzettel“, der – mehr oder weniger berechtigte – Hinweise auf klassische Vorbilder der in hohen Stückzahlen gefertigten Geigen gab, oft genug aber auch nur den Klang großer Namen für die Werbung nutzen sollte, wenn es nicht gar um die Täuschung unbedarfter Kunden ging. Diese Praxis ist für die „Stradivari-Flut“ verantwortlich, die enorme Menge sächsischer oder Mittenwalder Geigen des 19. Jahrhunderts mit oft recht gut gemachten Nachbildungen historischer Stradivari-Zettel. Während frühere Epochen des Geigenbaus auch immer ungekennzeichnete Instrumente kannten, gehört der Geigenzettel heute standardmäßig zu Instrumenten aller Qualitätsklassen.

Dem gegenüber steht eine andere Praxis, die z. B. durch das berühmte Haus Lendro Bisiach in Mailand gepflegt wurde: Die „Adoption“ ausgewählter Instrumente, die zu einem variierenden Grad in der eigenen Werkstatt fertiggestellt und dann unter dem eigenen Label verkauft wurden. Viele hervorragende Bisiach-Instrumente, die heute zu guten Preisen gehandelt und gern gespielt werden, sind sächsischer Herkunft – und erhielten neben dem Lack auch den Segen des berühmten Meisters in Gestalt seines Zettels.

Bestimmung der Echtheit eines Geigenzettels

Mit der genannten Interpretationsbedürftigkeit des Geigenzettels stellt sich natürlich auch die Frage, wie Imitate und Fälschungen sicher von Original-Zetteln zu unterscheiden sind. Die Musikinstrumentenforschung zieht dazu den Vergleich der verwendeten Papiere, der Drucktechnik, der Inhalte und selbstverständlich nicht zuletzt der Instrumente heran, in denen sich die Zettel befinden. Abgesehen von plumpen Fälschungen oder bewusst erkennbar gehaltenen Faksimiles ist für Laien in der Regel nicht erkennbar, ob ein Zettel authentisch ist oder nicht.

Reparaturzettel

Gerade feine Streichinstrumente sind oft doppelt gekennzeichnet und tragen neben dem Geigenzettel ihres Erbauers weitere Etiketten, Stempel oder Signaturen, die auf Reparaturen oder Umbauten hinweisen – eine Praxis, die der große Geigenbaumeister und Lehrer Otto Möckel in seinem Standardwerk „Geigenbaukunst“ scharf verurteilt: „Ferner verunziere man Violinen nicht durch Reparaturzettel. Will man aber seine Eitelkeit nicht unterdrücken, so gestalte man diese Zettel so klein wie möglich.“ Diesem harschen Verdikt sollte man aber die historische Redlichkeit und den Respekt vor der kollegialen Leistung entgegenhalten, für die Reparaturzettel auch stehen und die insbesondere bei größeren Eingriffen in historische Instrumente ihr unbedingtes Recht haben.

Quellen zur Erforschung von Geigenzetteln

Die Standardwerke zur Geschichte des Geigenbaus von Luetgendorff, Vannes, Jalovec und anderen enthalten umfangreiche Sammlungen von Geigenzettel-Reproduktionen. Darüber hinaus veröffentlichte der Leipziger Verleger und Musikinstrumentensammler Paul de Wit mit „Geigenzettel alter Meister“ ein umfangreiches Werk, das Zettel bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts vorstellt und hier in der ersten Auflage von 1902 herunterzuladen heruntergeladen oder online gelesen werden kann.

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