Dominique Peccatte und die Bogenmacherfamilie Peccatte

Die Bogenmacherfamilie Peccatte wirkte von den 1830er Jahren bis 1918 und prägte den französischen Streichbogenbau mit Arbeiten, die stilprägend wirkten und bis heute unter Musikern und Sammlern äußerst gefragt sind. Angesichts ihrer Bedeutung für die Geschichte des Kunsthandwerks und der Musik erstaunt, dass die Peccattes – im Unterschied zu anderen, vergleichbar einflussreichen Bogenbauerdynastien wie z. B. die Familie Knopf im sächsischen Markneukirchen – keine weit verzweigten Familien- und Lehrer-Schüler-Beziehungen aufbauten. Stattdessen ruht ihr gesamtes Gewicht auf dem Werk von nur 3 Meistern – Dominique Peccatte, sein Bruder François Peccatte und dessen Sohn Charles Peccatte – von denen François zudem verstarb, bevor er zu voller Blüte gelangen konnte.

Dominique Peccatte und die Bogenbauerfamilie Peccatte: Überblick

 

Dominique Peccatte (1810–1874)

Der frühe Dominique Peccatte bei J. B. Vuillaume

Dominique Peccatte (1810–1874) wurde in der Geigenbaustadt Mirecourt geboren, begann sein Berufsleben aber zunächst als Friseur- und Perückenmacherlehrling, worin er nach alter Sitte seinem Vater folgte. Da die Familie gut etabliert und durchaus wohlhabend war, ist nicht ohne weiteres nachzuvollziehen, warum der junge Dominique Peccatte den vorgezeichneten Weg offenbar noch während seiner Ausbildung wieder verließ; dass er damit aber die richtige Entscheidung getroffen hatte, bewies die Empfehlung, die Nicolas Vuillaume 1826 an seinen Bruder Jean-Baptiste Vuillaume gab, und so dem jungen Talent die Tür zu Vuillaumes aufstrebender Pariser Werkstatt öffnete.

Bei Jean-Baptiste Vuillaume wandte sich Dominique Peccatte unter der Leitung von Jean Pierre Marie Persoit (ca. 1783 – ca. 1854) dem Bogenbau zu und fand in diesem inspirierenden Umfeld ausgezeichnete Entwicklungsmöglichkeiten. Zehn Jahre lang blieb er bei Vuillaume, dessen Wertschätzung für Peccatte unter anderem dadurch belegt ist, dass er ihn 1830 vom drohenden Wehrdienst freikaufte.

Dominique Peccatte zwischen Paris und Mirecourt

1836 wechselte Dominique Peccatte zu François Lupot, wohl bereits mit der Perspektive, die Werkstatt des älter gewordenen Meisters einmal zu übernehmen, wozu es nach Lupots Tod im Jahr 1838 auch kam. Als erfahrener, reifer Meister auf dem Zenit seiner Leistungsfähigkeit baute sich Dominique Peccatte rasch einen hervorragenden Ruf auf, sowohl unter Musikern als auch bei bedeutenden Pariser Geigenbauern; auch sein Entdecker J. B. Vuillaume gehörte zu seinen Kunden.

Das eigene Atelier bildete auch den Rahmen für eine Wiederbegegnung mit seinem Bruder François Peccatte, der zwischen 1841 und 1843 bei Dominiques arbeitete. François war, dem Vorbild des erfolgreichen Dominique folgend, ebenfalls Bogenmacher geworden; nun konnte er seine Kenntnisse bei ihm reifen lassen, womit die Peccattes offenkundig den Grundstein für eine berufliche Partnerschaft legten, die sich Jahre später noch intensivieren sollte. Die Koinzidenz mit dem Tod ihres Vaters lädt zu Spekulationen über Grund und Anlass dieses langen Arbeitsaufenthalts ein; sicher ist aber, dass die Brüder in diesen Jahren intensiv zusammengearbeitet haben, was mehrere Bögen mit einer Stange von der Hand des einen und dem Frosch des anderen dokumentieren.

1843 kehrte François nach Mirecourt zurück, 1847 folgte ihm nunmehr Dominique, nachdem er seine Pariser Werkstatt an seinen langjährigen Mitarbeiter Pierre Simon verkauft hatte. Sein Vermögen und seine nach wie vor gut gehenden Geschäfte ermöglichen es Dominique Peccatte, sich vermehrt dem Weinanbau und anderen Tätigkeiten zu widmen, ohne den Bogenbau bis zu seinem Ruhestand im Jahr 1872 ganz aufzugeben, zwei Jahre vor seinem Tod am 13. Januar 1874.

Werk und Wirkung von Dominique Peccatte

Zu den bedeutenden Einflüssen auf das Werk von Dominique Peccatte gehört fraglos und an erster Stelle sein Lehrer Jean Pierre Marie Persoit, in dessen Arbeit sich die zu jener Zeit dominierende Tradition von François Xavier Tourte mit dem Stil von François Lupot verband.

Mit der Eröffnung seiner eigenen Werkstatt wird der persönliche Stil Peccattes sichtbar und gewinnt ab den 1840er Jahren rasch zunehmenden Einfluss auf den französischen Streichbogenbau. Über die oft genannte charakteristische Form des beilartigen Kopfes hinaus zeichnen sich seine Arbeiten durch Details wie die tief geschnittenen Froschmäuler oder elegant nach vorn zulaufende Beinchen aus, aber auch durch einen leicht dreieckigen, nach unten verbreiterten Querschnitt seiner an sich runden Stangen – die dadurch an seitlicher Stabilität gewinnen.

Unmittelbare Wirkung entfaltete Dominique Peccatte auf das Werk seines Bruders François Peccatte, auf seinen Schüler Joseph Henry (1823–1870) und seinen Mitarbeiter und Nachfolger Pierre Simon (1808–1881). Sein Neffe Charles Peccatte sollte erst in späteren Jahren stilistische Anlehnungen am Werk seines Onkels und seines Vaters François Peccatte suchen – wodurch die familiäre Tradition der Peccattes noch gedrängter erscheint, als sie ohnehin schon ist.

François Peccatte (1821–1855)

François Peccatte war der 11 Jahre jüngere Bruder von Dominique Peccatte und es bedarf keiner großen Spekulation, dass seine Entscheidung für eine Bogenmacherlehre vom guten Beispiel seines Bruders beeinflusst gewesen sein dürfte. Auch in seiner Orientierung auf Paris folgte er Dominique und versuchte wohl schon vor 1840, dort Fuß zu fassen. In welchen Werkstätten er seine Laufbahn auch begonnen haben mag, war die gemeinsame Zeit mit seinem Bruder zwischen 1841 und 1843 doch jene Reifephase, die aus François Peccatte den herausragenden Meister gemacht hat, der er war – oder der er hätte werden können.

Vielversprechend war der Anfang mit seiner eigenen Werkstatt, nachdem er nach Mirecourt zurückgekehrt war: Fast von Anfang an konnte er mehrere Mitarbeiter beschäftigen und nutzte offenbar geschickt den Preisvorteil aus, den ihm das Mirecourter Lohnniveau gegenüber der Konkurrenz aus Paris verschaffte. Auch die Tatsache, dass er sein Atelier nach der Rückkehr von Dominique Peccatte nach Mirecourt im Jahr 1847 unabhängig von ihm weiterführte, spricht für eine stabile Existenz – offenbar bestand keine Notwendigkeit, sich mit dem zu Wohlstand gekommenen, bestens eingeführten Bruder zusammenzutun. Gelegentliche Kooperationen sind gleichwohl bekannt und sprechen dafür, dass bei dieser Entscheidung kein familiäres Zerwürfnis im Hintergrund stand.

In den Jahren 1852 und 1853 wandte sich François Peccatte noch einmal vorübergehend Paris zu – ohne seine Mirecourter Geschäfte aufzugeben – und arbeitete aus unbekannten Gründen für J. B. Vuillaume.

Am 30. Oktober 1855 beendete sein vorzeitiger Tod in Mirecourt eine Laufbahn, die sowohl in geschäftlicher als auch in künstlerischer Perspektive nach wie vor sehr aussichtsreich war. Der relativ große Altersunterschied der beiden Peccatte-Brüder hätte Gelegenheiten geboten, ihre Positionierung auf dem Markt feiner französischer Geigenbögen neu auszutarieren; das große Talent von François Peccatte versprach interessante Weiterentwicklungen des familiären Stils, der möglicherweise eine noch größere Wirkung entfaltet hätte, wäre François die Ausbildung guter Schüler und Nachfolger möglich gewesen.

Charles Peccatte (1850–1918)

Charles Peccatte – frühe Einflüsse

Charles Peccatte (1850–1918) wurde als Sohn von François Peccatte und Neffe von Dominique Peccatte in Mirecourt geboren und wandte sich nach dem frühen Tod seines Vaters im Jahr 1862 ebenfalls dem Bogenbau zu. Nach der Lehre bei seinem Stiefvater Auguste Lenoble (1828–1895) wechselte er 1865 zu J. B. Vuillaume, auch hier dem familiären Vorbild folgend und gewiss unterstützt durch die Verbindung, die François und Dominique zu Vuillaume aufgebaut und stets am Leben erhalten hatten.

Bei Vuillaume arbeitete Charles Peccatte unter François Nicolas Voirin (1833–1885). Obwohl das Erbe der beiden älteren Peccattes im französischen Bogenbau und insbesondere bei Vuillaume nach wie vor lebendig war, sollte Charles doch weniger durch die – ebenso kurze wie mächtige – familiäre Tradition geprägt werden als durch Voirin, der in dieser Zeit die kreativ treibende und definierende Kraft für den Bogenbau im Hause Vuillaume war.

„Peccatte à Paris“

1870 verließ Charles Peccatte die Vuillaume-Werkstatt und versuchte, sich selbständig zu machen – ein Vorhaben, das aus unbekannten Gründen nur stockend gelang. Der Brandstempel „PECCATTE A PARIS“, den er in dieser Zeit zum ersten Mal verwendete, sollte rasch wieder für viele Jahre unsichtbar werden. 1874 trat er zunächst wieder in die Werkstatt von Auguste Lenoble ein und arbeitete bis ca. 1880 halbtags als Beamter, um den Lebensunterhalt seiner Familie bestreiten zu können.

Mit einem Umzug in die Nähe der Pariser Oper verbesserte sich die Lage nach und nach; die Arbeiten von Charles Peccatte gewannen nun die Anerkennung, die sein großer Name erwarten ließ, dokumentiert durch eine Silbermedaille in Antwerpen 1885 und eine weitere 1899 in Paris. Ab 1900 konnte er die eingehenden Bestellungen nicht mehr allein bewältigen und ließ sich von zum Teil namhaften Kollegen zuarbeiten.

Aber auch seine persönliche Kunst befand sich in dieser Zeit auf ihrem Höhepunkt und der Stempel „PECCATTE A PARIS“ gewann fast 30 Jahre nach seiner ersten Verwendung eine neue Daseinsberechtigung – und eine neue Bedeutung: als Kennzeichen der Werkstattbögen aus dem Hause Charles Peccatte. Diese erfolgreiche Periode höchster Schaffenskraft währte bis 1910, es ist jedoch wahrscheinlich, dass Peccatte bis zu seinem Tod am 22. Oktober 1918 gearbeitet hat.

Charles Peccatte und Eugène Sartory

Unter den Assistenten, die Charles Peccatte in seiner erfolgreichsten Werkphase beschäftigte, war auch Eugène Sartory (1871–1946), dessen frühe Arbeiten von seinem Auftraggeber stark beeinflusst wurden und als bedeutendste Lehrer-Schüler-Beziehung von Charles Peccatte gewertet werden können. Da sich das Werk Peccattes in dieser Zeit durch eine gewisse Rückbesinnung auf das künstlerische Erbe seines Vaters und seines Onkels auszeichnete – erkennbar etwa in einer etwas stärkeren Ausführung der Bögen gegenüber dem einflussreichen, schlankeren Modell von Lamy –, erscheint es nicht ganz unbereichtigt, eine zarte Traditionslinie von Dominique und François Peccatte über Charles Peccatte zu Eugène Sartory zu ziehen.

Originally published by Corilon violins.