Der Geigenbau in Florenz gehört zu den rätselhaften Kapiteln der italienischen Handwerksgeschichte, denn obwohl in der Stadt der Medici – die in ihrer Blüte eines der bedeutendsten kulturellen Zentren Europas war – auch das Musikleben florierte, hat sich in ihr doch keine eigenständige lokale Geigenbautradition entwickelt. Zwar sind viele Florentiner liutai dem Namen nach durchaus bekannt, doch haben sie kaum mehr Spuren ihrer Arbeit hinterlassen als gelegentlich zu findende Reparatur-Zettel in Instrumenten anderer Meister.
Übersicht:
- Die Geigenbauer von Florenz im Schatten Brescias und Cremonas
- Die Anfänge des Geigenbaus in Florenz
- Bedeutende Geigenbauer im Florenz des 17. und 18. Jahrhunderts
- Familien im klassischen Florentiner Geigenbau
- Der Geigenbau des 19. und 20. Jahrhunderts in Florenz
- Florentiner Geigenbau heute: Familien- und Werkstattbeziehungen
Die Geigenbauer von Florenz im Schatten Brescias und Cremonas
Dieser Befund entspricht der Situation in anderen italienischen Städten und spiegelt mit größter Wahrscheinlichkeit den überragenden Erfolg der berühmten Werkstätten in Brescia und Cremona wider, denen nicht nur wegen ihrer Beiträge zur Entwicklung des bis heute gültigen Violinmodells historischer Rang zukommt. Vielmehr dominierten die Familien Amati, Stradivari und Guarneri und weitere aus ihrem Einflussbereich den Markt für neue Instrumente und belieferten die geistlichen und weltlichen Auftraggeber in ganz Italien und darüber hinaus.
So ist davon auszugehen, dass Florenz zahlreichen Geigenbauern ein gutes Auskommen bot, darunter sicher auch erstklassige Meister – und vermutlich in größerer Zahl, als sie bislang in den Blick der Forschung gekommen sind.
Die Anfänge des Geigenbaus in Florenz
So wenig sich in Florenz eine klassische Geigenbautradition herausgebildet hat, so spärlich sind die Nachrichten über die Anfänge des Handwerks in der Stadt. Während manche Autoren dem sprichwörtlichen Universalgenie Leonardo da Vinci auch die Begründung des Geigenbaus in seiner Heimatstadt zuschreiben, gehen andere davon aus, dass Valentino Siani (1595–1672) der erste liutaio von Florenz war, der neben den traditionellen Zupfinstrumenten auch Instrumente der Violinfamilie baute. Valentino Sianis Instrumente, von denen nur wenige bekannt sind, zeigen einen reifen, individuellen Stil, der von seinem wahrscheinlichen Lehrer Giovanni Paolo Maggini beeinflusst ist. Sie werden sowohl für ihre handwerkliche als auch für ihre klangliche Qualität bis heute geschätzt.
Bedeutende Geigenbauer im Florenz des 17. und 18. Jahrhunderts
Unter den zeitgenössischen Geigenbauern neben Siani finden sich nicht nur hervorragende Meister ihrer Kunst, sondern mit Giovanni Battista Doni (1595–1647) auch eine vielseitig begabte, einflussreiche Persönlichkeit der Musikgeschichte. Der Gelehrte und Musikwissenschaftler ist nicht nur als Schöpfer des Do-Re-Mi bekannt – indem er das Ut in der Solmisation durch Do ersetzte, im Sinne der besseren Singbarkeit, des Schöpferlobs (dominus) und vielleicht auch der Erinnerung an seinen eigenen Familiennamen – sondern auch als erster Operntheoretiker und innovativer Instrumentenbauer, der die Lyra Barberina (Amphicord) erfand. Und obwohl keine Violinen von seiner Hand erhalten geblieben sind, gibt es an seiner besonderen Wertschätzung der modernen Geige keinen Zweifel: „Unter allen Musikinstrumenten ist die Natur der Violine wahrhaft wunderbar“, stellt er in seinen Annotazioni sopra il Compendio de‘ Generi e de‘ Modi della Musica von 1640 klar, denn „in der Hand eines erfahrenen Spielers vereinigt die Violine die Weichheit der Laute, die Süße der Gambe, die Majestät der Harfe, die Kraft der Trompete, die Lebhaftigkeit der Pfeife, das Klagende der Flöte, das Pathos des Kornetts“. Zu Giovanni Battistas Familie gehörte wahrscheinlich auch Rocco Doni, der zu den produkivsten und angesehensten Geigenbauern seiner Zeit gehörte.
Eine weitere strahlende Gestalt des Florentiner Geigenbaus ist Bartolomeo Cristofori (1655–1731), der in die Musikgeschichte als Erfinder des Hammerklaviers eingegangen ist, aber – ungeachtet einiger noch nicht geklärter historischer Fragen zu seiner Biographie – mit größter Wahrscheinlichkeit auch Streichinstrumente baute. Die unter dem Namen Bartolomeo Cristofori erhaltenen Celli und ein Kontrabass stellen einen exzellenten Meister mit eigenständiger künstlerischer Handschrift vor, dessen Werk schon zu Lebzeiten größte Wertschätzung erfahren hat. Letzteres ist aus einem Reparaturzettel ersichtlich, den kein geringerer als Antonio Stradivari in einem Bartolomeo Cristofori - Cello angebracht hat.
Dass schon früh im 17. Jahrhundert mehrere Geigenbauer aus Deutschland nach Florenz zogen und bislang nur ansatzweise erforschte Lehrer-Schülerbeziehungen aufbauten, spricht ebenfalls für den hohen Bedarf an Geigenbauerleistungen in der Stadt. Bekannte Namen sind Filippo Zimbelmann, der vermutlich bei Giovanni Suover arbeitete, bevor er seine eigene Werkstatt eröffnete. Aus Hofen bei Wald im Allgäu stammten Wilhelm und Melchior Eberle, deren Wirken in Florenz ab 1603 nachgewiesen ist, und ihr Zeitgenosse und vermutlicher Verwandter Bartolomeo Eberspacher.
Familien im klassischen Florentiner Geigenbau
Dass Geigenbauer in Florenz gute Arbeitsbedingungen genossen, belegen auch die verschiedenen Geigenbauer-Familien, in denen das Handwerk insbesondere im 17. und 18. Jahrhundert über mehrere Generationen blühte.
Vier Meister zählte z. B. die Geigenbauer-Dynastie Gabrielli, von denen Giovanni Battista Gabrielli (1716–1771) schon zu Lebzeiten der bekannteste war. Mit seiner stilbewussten, experimentellen und an Jakob Stainer orientierten Arbeitsweise, deren beste Ergebnisse in den Sujets Viola und Violoncello erhalten geblieben sind, erwarb Giovanni Battista Gabrielli sich einen guten Namen, den manch ein Händler noch für lange Zeit auf falsche Zettel drucken ließ.
Unter den neun bekannten Mitglieder der Instrumentenbauer-Familie Carcassi, mit denen tatsächlich Ansätze einer regionalen „toskanischen Geigenbauschule“ greifbar werden, gilt Lorenzo Carcassi (– ca. 1776) als der profilierteste und bis heute hochgeschätzte Meister, der sowohl unter eigenem Namen als auch in einer ab ca. 1745 bestehenden Kooperation mit seinem Bruder Tomaso Carcassi (– ca. 1786) unter der Firma „Lorenzo e Tomaso Carcassi“ arbeitete. Ihre Arbeiten repräsentieren den Einfluss des Violinmodells von Jakob Stainer in Norditalien.
Der Geigenbau des 19. und 20. Jahrhunderts in Florenz
Auch im 19. Jahrhundert wirkten in Florenz produktive und einflussreiche Instrumentenbauer-Familien, unter denen an erster Stelle der Name Castellani zu nennen ist. Obwohl sie sich – wie viele italienische liutai – mindestens so stark dem Bau von Gitarren und Mandolinen widmeten, entstanden in den Werkstätten der Castellanis doch auch sehr gute Geigen. Ihr wichtigster Vertreter war Luigi Castellani (1809–1884), der sein Handwerk bei seinem Vater Pietro Castellani (1780–1820) erlernt hatte und später die Werkstatt Castellani e Figlio führte. Dank seines hervorragenden Rufs als Restaurator wurde Luigi Castellani ans Florentiner Konservatorium berufen. 1866 gewann er keinen geringeren als Giuseppe Scarampella (1838 – ca. 1885) für die Mitarbeit in seinem florierenden Unternehmen, das nach seinem Tod Pietro Ballerini übernahm.
Zu den hervorragenden Geigenbauern im Florenz des 19. Jahrhunderts gehört weiterhin Lorenzo Arcangioli, der sich in der ersten Jahrhunderthälfte mit sehr gutem Erfolg um die Wiederbelebung der altitalienischen Geigenbautradition und der toskanischen Schule verdient machte. Valentino de Zorzi (1837–1916) war ein höchst innovativer Geigenbauer, der sein Handwerk autodidaktisch erlernt hatte und 1885 aus Pistoia nach Florenz kam. Seine Arbeit folgte einem persönlichen Violinmodell – eine interessante Synthese aus Bauprinzipien Stradivaris und Stainers – und brachte ihm mehrere Auszeichnungen ein, während Erfindungen wie eine 18-saitige „Harfengitarre“ und ein „Contraviolino“ Ausdruck seiner enormen Kreativität und interessante, experimentelle Beiträge zum Geigenbau seiner Zeit sind.
Das 20. Jahrhundert brachte frischen Wind in den Florentiner Geigenbau, der untrennbar mit dem Namen Bisiach verbunden ist. Geboren und aufgewachsen in Mailand, ausgebildet bei seinem Vater Leandro Bisiach sowie Léon Mougenot in Mirecourt, bei Eugène Sartory in Paris und Karel van der Meer in Den Haag, zog Carlo Bisiach im Jahr 1922 nach Florenz. Denselben Weg zur selben Zeit ging mit Iginio Sderci einer der besten Mitarbeiter der Mailänder Bisiach-Werkstatt, der wie Carlo Bisiach streng den altitalienischen Meistern verpflichtet war. Die beiden Geigenbauer Iginio Sderci und Carlo Bisiach arbeiteten in Florenz eng zusammen und galten bereits zu Lebzeiten als führende Exponenten des italienischen Geigenbaus ihrer Epoche. Iginio Sderci prägte den Geigenbau in Florenz und darüber hinaus nicht zuletzt durch viele Schüler, unter denen sich hochinteressante Meister wie Leandro Bisiach jr., Giuseppe Bargelli und Roberto Ignesti finden.
Florentiner Geigenbau heute: Familien- und Werkstattbeziehungen
Florenz ist auch heute eine Kulturstadt mit internationaler Ausstrahlung, und so verwundert es nicht, dass in ihr eine interessante und umfangreiche Geigenbauer-Szene zu Hause ist. Zu ihren prägenden Einflüssen gehört die Familie Vettori, zu der allein 6 Geigenbauer gehören und in deren Werkstätten maßgebliche Persönlichkeiten des zeitgenössischen Florentiner Geigenbaus ausgebildet wurden. Begründet wurde diese bedeutende Familientradition von Dario Vettori, der 1935 im Alter von 30 Jahren seinen Beruf als Violinist aufgab, um sich dem Geigenbau zuzuwenden. Wie Dario Vattori selbst avancierten auch seine Söhne Carlo Vettori und Paolo Vettori zu exzellenten Restaurateuren und vielfältig versierten, mehrfach ausgezeichneten liutai. Paolo Vittoris Kinder Dario, Sofia und Lapo Vettori arbeiten heute gemeinsam mit ihrem Vater und pflegen die Spezialisierung des Hauses auf die Arbeit mit seltenen, alten Tonhölzern.
Zu den intensiven Werkstattbeziehungen der Vettoris gehören die Verbindungen Paolo Vettoris mit den Werkstätten der Sderci-Familie, von Giuseppe Stefanini und Lapo Casini, von denen er wesentliche Inspirationen erhielt, aber auch die Schüler wie Fabio Chiari, der neben seiner sehr erfolgreichen eigenen Arbeit mehrere Fachbücher verfasst und 2014 die „Scuola di Liuteria Toscana ‚Fernando Ferroni‘“ gegründet hat – ein Markstein der jüngeren Geschichte des Florentiner Geigenbaus. Allein seine Werkstatt „Liuteria Toscana“ versammelt aktuell 16 weitere Geigenbauer, und bildet damit doch auch nur einen Teil des Geigenbaus in Florenz ab, in dem Meister wie Claudio Arezio, Tommaso Pedani, Paolo Sorgentone, Michele Mecatti, Fabrizio Di Pietrantonio, Francesco Tarchi und Jamie Marie Lazzara zahllose lohnende Erkundungen in einem blühenden Handwerk erlauben.